ix) Sonderfälle mit eingeschränkter Deckung
aa) Verbundunternehmen
Besteht zwischen dem antragstellenden deutschen Exporteur und dem ausländischen Besteller ein Mutter-Tochter- oder Tochter-Mutter-Verhältnis oder übt der deutsche Exporteur einen maßgeblichen Einfluss auf den ausländischen Besteller aus, ohne mehrheitlich beteiligt zu sein, bzw. unterliegt er selbst einem solchen maßgeblichen Einfluss seitens des Bestellers, muss wegen der daraus resultierenden wirtschaftlichen Identität der Deckungsschutz auf die politischen Risiken beschränkt werden. Es erklärt sich von selbst, dass nicht Risiken Gegenstand der Fabrikationsrisikodeckung sein können, die ihre Entstehung im Verantwortungs- und Einflussbereich des Deckungsnehmers haben (Mutter-Tochter-Verhältnis). Ebenso wenig darf eine etwaige Entschädigung mittelbar demjenigen zugute kommen, dem das schadensbegründende Ereignis zuzurechnen ist (Tochter-Mutter-Verhältnis). Von einer wirtschaftlichen Identität ist in jedem Falle einer direkten oder indirekten mehrheitlichen Beteiligung auszugehen. Bei Minderheitsbeteiligungen bedarf es dagegen der Prüfung im Einzelfall. Entscheidend ist dabei, wie sich der Einfluss auf die Geschäftsführung, insbesondere im kaufmännischen Bereich darstellt.
Besteht eine Mehrheitsbeteiligung oder wird ein maßgeblicher Einfluss ausgeübt, wird die Fabrikationsrisikodeckung grundsätzlich auf die politischen Risiken gemäß § 4 Nr. 1, 2, 3, 7 und 8 AB (FG) beschränkt. Die wirtschaftlichen Risiken gemäß § 4 Nr. 4, 5 und 6 werden nur insoweit gedeckt, als sie ausschließlich auf gesetzgeberische oder behördliche Maßnahmen im Ausland oder sonstige politische Ereignisse zurückzuführen sind (sog. politische Insolvenzrisiken). Gefahrerhöhende Umstände im Sinne der Unterbrechungstatbestände gemäß § 4 Nr. 1 und 2 AB (FG) liegen nur dann vor, wenn sie im Zusammenhang mit gedeckten politischen Risiken oder politischen Insolvenzrisiken stehen.
bb) Bezahlung der Ausfuhrforderung aus einem Akkreditiv
Ein weiterer Fall der eingeschränkten Deckung liegt vor, wenn in einem Ausfuhrvertrag Zahlungsbedingungen vereinbart sind, nach denen der volle Kaufpreis aus einem vor Fertigungsbeginn von einer ausländischen Bank eröffneten, unwiderruflichen und ausreichend befristeten Dokumentenakkreditiv zu zahlen ist. In derartigen Fällen wird eine Deckung der wirtschaftlichen Risiken für entbehrlich gehalten. Die Praxis, bei Dokumentenakkreditiven ausländischer Banken den Deckungsschutz auf die politischen Risiken zu beschränken, geht auf die frühen fünfziger Jahre zurück und entsprach einem damaligen Wunsch der Exportwirtschaft, die sich damit eine Entgeltersparnis sichern wollte. Dogmatische Gründe gibt es für diese Praxis nicht. Wenn heute ein Antragsteller trotz Zahlung aus Dokumentenakkreditiv einer ausländischen Bank die Übernahme einer vollen Deckung ausdrücklich beantragt, hat er gute Aussichten, dass seinem Antrag stattgegeben wird.
Da ohne einen solchen Antrag bislang bei Geschäften mit privaten Bestellern, bei denen Zahlung aus einem von einer privaten Banken eröffneten Dokumentenakkreditiv erfolgt, der Deckungsschutz unter der Fabrikationsrisikodeckung auf die Risiken gemäß § 4 Nr. 1, 2, 3, 7 und 8 AB (FG) beschränkt wird, ist es dem Deckungsnehmer zu empfehlen, die Vertrags- und Akkreditivbedingungen mit besonderer Sorgfalt dahingehend zu überprüfen, ob tatsächlich keinerlei Mitwirkungshandlung des ausländischen Bestellers für die Durchführung der Versendung oder die Aufnahme der Dokumente erforderlich ist. Es könnte sich sonst eine unangenehme Deckungslücke ergeben.
Auch bei Geschäften mit ausländischen Regierungen und sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts wird die beschriebene Einschränkung praktiziert, wenn das Dokumentenakkreditiv von einer privaten Bank im Ausland eröffnet wird. Ausnahmsweise besteht auch hier die Möglichkeit einer vollen Deckung. Eröffnet dagegen eine staatliche Bank das Akkreditiv, verbleibt es immer bei der vollen Deckung, also einschließlich des Risikos der Zahlungseinstellung, der Lossagung vom Vertrag und der Nichtzahlung von Stornierungskosten als schadensauslösende Umstände unter der Fabrikationsrisikodeckung. Dem liegt die Sicht zugrunde, dass eine Risikodifferenzierung zwischen staatlichem Besteller und staatlicher Bank nicht plausibel erscheint.
Eine Beschränkung auf die politischen Risiken wird auch dann vorgenommen, wenn das Akkreditiv von einer inländischen Bank eröffnet oder das von einer ausländischen Bank eröffnete Akkreditiv von einer inländischen Bank bestätigt wird. In solchen Fällen ist die Absicherung der wirtschaftlichen Risiken nicht nur entbehrlich, sondern wegen der dadurch gegebenen Zahlungsverpflichtung eines Deviseninländers generell nicht zulässig. Die Alternative einer vollen Deckung besteht hier von vornherein nicht.